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Pringada – ich lerne spanisch und die Spanier von mir

Bei mir im Büro haben zwei neue Kolleginnen aus Spanien angefangen. Leider fühlte sich niemand so recht zuständig für die beiden, was zum Beispiel das Thema Wohnungssuche in Münster etc angeht, da habe ich mich angeboten. Die beiden Mädels sind super lieb und ich konnte einfach nicht nein sagen. Und außerdem liebe ich Herausforderungen: möglichst schnell eine möglichst schöne und bezahlbare Wohnung im Zentrum von Münster finden. Was soll ich sagen, Challenge accepted und tatsächlich fündig geworden. Hab dann auch weiter geholfen was Internet und son Kram angeht. Dadurch haben wir viel Zeit miteinander verbracht und sind mittlerweile gute Freunde geworden. In dem Zusammenhang bringen wir uns auch gerne immer mal wieder deutsche bzw. spanische Vokabeln bei und wir lernen auch gegenseitig etwas von unserer Kultur und der Art zu arbeiten. Dabei fiel in letzter Zeit sehr oft das Wort „Pringada„, was soviel bedeutet wie Trottel. Pringada bezieht eine der beiden immer auf sich, da sie, seit sie hier ist und wohl auch schon in Spanien, quasi 24/7 erreichbar ist und arbeitet, es gibt weder einen richtigen Feierabend noch ein richtiges Wochenende. Und immer, wenn wir uns darüber unterhalten und ich sie verständnislos ansehe, sagt sie, Jaja siempre soy yo la pringada. Was soviel bedeutet, ich bin der ewige Trottel. Warum ist das so?

Und man fragt sich, warum man immer so gestresst ist, wenig isst, keine Zeit für Sport oder ähnliche Hobbies hat und so weiter und so fort. Wieder gucke ich sie verständnislos an und sie wird ein wenig sauer, warum ich so wenig Verständnis für sie aufbringe. Und dann sage ich ihr, dass ich einfach kein Verständnis dafür habe, dass nicht die Arbeit oder ihr Chef oder wem auch sonst sie die Schuld geben mag, sondern sie ganz allein dafür verantwortlich ist. Sie ist 26. Wenn ich wüsste, wie man es korrekt auf spanisch sagt, dann würde ich sie fragen: merkst du es noch? Man macht es sich ja irgendwie auch ziemlich einfach, immer den anderen die Schuld an diesem und jenem zu geben, was gerade schief läuft im Leben. Bei mir lief auch schon so einiges schief, ich war oft unglücklich. Am Ende war ich aber immer selbst dafür verantwortlich, mich daraus zu befreien. Niemand anderes kann und darf für dein Glücklichsein verantwortlich gemacht werden. Nur man selbst, ganz allein. Das ist jedoch ein Lernprozess, manchmal ein kurzer, manchmal ein sehr langer. Doch wenn ich sehe, wie ein junges Mädchen sich so kaputt macht, dann macht mich das schon auch sauer.

Klar, ich verstehe, dass sie noch ein paar Schritte auf der Karriereleiter nach oben will, aber um welchen Preis? Ist es das Geld da oben wert, dass die Gesundheit leidet, dass man keine vernünftige Freizeit mehr hat und immer und überall erreichbar ist und beim Klingelton des Handys schon denkt, oh neee, was jetzt schon wieder los? Sorry, aber das verstehe ich einfach nicht. Mir ist meine freie Zeit, mein Leben, so unendlich viel mehr wert, als mein Job und die Firma. Man arbeitet auch schließlich nicht für das Unternehmen, sondern für sich. Man hat selbst in der Hand, wie man dich behandelt. Spricht man keine Machtwörter oder setzt Grenzen, dann gewöhnen sich die Menschen in deinem Umfeld ganz schnell daran, dass sie mit dir machen können, was sie wollen. Und das führt dann dazu, dass man am Ende die Pringada, der Depp vom Dienst ist.

Diese Kultur, sich so für die Firma, den Job ( NICHT für die Arbeit ) so aufzuopfern, finde ich richtig ätzend und bei mir im Büro wirklich extrem stark an der Tagesordnung. Ich weiß auch nicht, ob die Kollegen denken, die Firma bricht zusammen, wenn man sich mal spontan ein langes Wochenende gönnt oder am Sonntag um 8Uhr nicht innerhalb von 1 Stunde auf eine E-Mail antwortet oder mal nicht 12 Stunden im Büro hockt. Was auch immer der Grund für dieses Bestreben nach Ich bin immer erreichbar und ohne mich läuft doch nichts ist, ich werde ihn wohl nie verstehen. Nichts ist mir wichtiger als meine Gesundheit und meine persönliche Freiheit und da wird mir sicherlich nichts und niemand im Wege stehen. Und ein Ja, aber kommt bei mir nicht mehr in die Tüte.

Meine ständigen verständnislosen Blicke und das Nachfragen, warum sie so handelt und wie ich damit umgehe, scheinen aber langsam auch meine Kollegin zum Nachdenken gebracht zu haben. Sie hat sich für ein paar Tage Urlaub genommen, den sie mit ihrer Mama auf Menorca verbringt. Ohne Handy. Und wenn sie wieder da ist, will sie sich selbst und den Kollegen Grenzen setzen. Und ihr Firmenhandy ab 18Uhr ausschalten.