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Vermissen – Brief für dich

Heute Nacht habe ich wieder von dir geträumt. Wir waren zusammen unterwegs, du bist ständig mitten auf die Straße gelaufen und ich habe gesagt, komm von der Straße, das ist zu gefährlich. Dann waren wir in einem Café und haben uns was zu trinken bestellt. Da habe ich gemerkt, das was nicht stimmt, du konntest nicht mehr richtig sprechen und warst ganz fahrig. Unterzuckerung war mir sofort klar. Deine Diabetes hattest du ganz gut im Griff, aber manchmal eben nicht. Dann war ich zu Stelle. Hab der Kellnerin direkt zugerufen, dass ich einen süßen Saft brauche oder Zuckerwasser oder Traubenzucker. Gerade als du neben mir vom Stuhl zu fallen drohtest und ich dich auffangen wollte, bin ich aufgewacht. 

Die Träume mit dir sind eher selten, aber wenn sie da sind, sind sie real. Ich könnte sagen, brutal real, denn wenn ich aufwache, ist da eine große Traurigkeit und furchtbare Leere in mir. Gefühlt konnte ich dich bis vor einer Sekunde noch anfassen, mir dir reden. Und dann wache ich auf und alles war nur ein Traum. Aber ich weiß, dass du dahinter steckst. Du möchtest mich damit nicht traurig zurücklassen, sonder Hallo sagen. So, wie du es tust, wenn die Sonne durch den wolkigen Himmel bricht. Dann weiß ich, das bist du und muss lächeln.stocksnap_jifdwat8a3

Es ist in diesem August 7 Jahre her. Als ich dich zu unserem allmorgendlichen Telefonat nicht erreichen konnte. Was noch nie vorgekommen ist. Die ganze Fahrt zur Arbeit habe ich es versucht. Niemand hob ab. Ich wusste, etwas stimmt nicht. Dieses dumpfe Gefühl in der Magengrube, dass dein Herz bis in den Hals schlagen und dich langsam panisch werden lässt. So habe ich jemanden angerufen, dass er nach dir schauen möge. Der Anruf, den ich dann bekam, werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Es war etwas passiert, etwas, dass meine Welt aus ihrer Umlaufbahn warf. Sofort war ich auf dem Weg zu dir. Oder besser gesagt, ich sah mich, wie ich mich bewegte, ferngesteuert handelte. Ich kam an, die Tür war geschlossen. Ich sah Briefe. Unterlagen. Fein säuberlich sortiert. Was hast du gemacht? Ich wollte mir dir sprechen, dich anschreien, Dinge fragen. Es war wie im Film. Ich verstehe jetzt Leute, die Dinge so berichten.

Die Tür geht auf. Ich trete ein. Du schläfst. Doch ich weiß zu dem Zeitpunkt, dass das nur so aussieht. Es ist still, außer unserem Schluchzen. Ich setze mich zu dir. Du siehst entspannt aus, friedlich. Ich schaue auf den Nachttisch. Bilder. Deine Brille. Spritzen.  Ich kann es nicht begreifen. Du hast entschieden, diesen Weg zu gehen. Zum allerersten Mal in deinem Leben hast du eine egoistische Entscheidung getroffen. Zum allerersten Mal in deinem Leben sind dir deine Mitmenschen egal gewesen. Die Depression hat dich das ausblenden lassen. Es hat lange gedauert, bis ich das verstanden habe und akzeptieren konnte. Das ich nichts hätte tun können. Ich las die Briefe wieder und wieder und habe dich in den Zeilen nicht wiedergefunden. Auch das hat die Krankheit mit dir gemacht. Am Abend zuvor haben wir noch zusammen gegessen, wie fast jeden Abend. Ich habe nichts bemerkt, wie kann das sein? Das macht mir heute noch eine riesen Angst. Was Depressionen mit Menschen machen. Das ich nichts bemerkt habe. Und ich bin nach wie vor wütend. Nicht mehr so doll wie am Anfang. Aber ich bin wütend, dass du mich verlassen hast. Der Schmerz wird nie vergehen. Er ist jeden Tag da, mal mehr mal weniger. Die Erinnerung an dich wird nie verblassen. Und dieser Tag hat sich mit jeder seiner Sekunden in mein Gedächtnis gebrannt und mich grundlegend verändert. Ich vermisse dich, jeden Tag. Aber ich weiß auch, dass du trotzdem bei mir bist, auch wenn ich dich nicht sehen oder anfassen kann. Ich spreche manchmal mit dir. Und danke dir, dass du mir den besten Mann an meine Seite gestellt hast. Ich bin mir nämlich sicher Mama, da hattest du deine Finger mit im Spiel.